Das Ende von Social Media
Während KI und Algorithmen zunehmend den Menschen aus den sozialen Netzwerken verdrängen, kämpfen Unternehmen um Reichweite. In seinem neuen Buch “Das Ende von Social Media” beschreibt Autor Dominik Ruisinger diesen Wandel und wie wir darauf reagieren können. Ein Interview.
Herr Ruisinger, warum der so provokant gewählte Titel des Buchs “Das Ende von Social Media”?
Der Titel wirkt nur im ersten Moment provokant. Denn wenn man ein bisschen zurückdenkt und überlegt, woher Social Media eigentlich kommt, dann liegt dem ein wunderschöner Gedanke zugrunde: Menschen unabhängig von Zeit und Ort an einem digitalen Ort zusammenzuführen. So steht es beispielsweise auch in der Positionierung von Meta, also der Mutter von Facebook, Instagram, WhatsApp und Co.
Guckt man sich die Entwicklung der letzten Jahre an, dann ist in den sozialen Netzwerken aber nicht viel übrig geblieben vom Menschen. Es geht kaum mehr darum, Menschen im Digitalen zusammenzuführen und deren Vernetzung zu erleichtern. Der Mensch verliert an Bedeutung. Auf Kanälen wie TikTok und YouTube war es schon immer schnurzpiepegal, wie viel Freunde man hat und was die Freunde posten. Das hat den Algorithmus noch nie interessiert. Diesem Vorbild sind die Meta-Netzwerke in den vergangenen Jahren immer stärker gefolgt.
Das kann jeder selbst überprüfen: Geht einfach mal den eigenen Instagram- oder Facebook-Feed durch und schaut nach: Wie viele Beiträge stammen von Freunden und wie viele sind sogenannte Empfehlungen oder Werbung? Locker 50 Prozent kommen nicht mehr aus deinem eigenen Kreis. Diese Mischung aus Empfehlungen, Algorithmen und KI bestimmt immer stärker, was wir zu sehen bekommen. Und das ist das Ende von Social Media – auf jeden Fall so, wie es erdacht war und so, wie es eigentlich in den letzten 20 Jahren gelebt wurde. Das ist vorbei. Das heißt jetzt nicht, dass die sozialen Netzwerke verschwinden. Das wäre dann zu provokativ und auch nicht korrekt.
Sie prognostizieren in Ihrem Buch, dass automatisch generierte Inhalte – durch KI und Algorithmen – unsere Feeds fluten. Ist das überhaupt schlecht?
Da muss man zweigeteilt sehen und KI von Algorithmen trennen. Dass sich die sozialen Netzwerke so verändert haben, liegt an uns selbst. Der Hintergrund: Für die ganzen sozialen Netzwerke ist eines wichtig: Verweildauer. Warum? Na, damit sie uns am meisten Werbung ausspielen können. Und die sozialen Netzwerke haben ziemlich schnell gemerkt, dass wir uns länger mit irgendwelchen Hundewelpen-Videos auseinandersetzen als mit unseren eigenen Freunden.
Wenn ich mir heute die Zahlen angucke, dann verbringt der durchschnittliche TikTok-Nutzer 38 Stunden pro Monat nur auf TikTok. Und das ist der Durchschnitt. Bei der jüngeren Generation sind wir sicher bei einer noch höheren Zahl. Darum sagt man auch: TikTok ist das neue Fernsehen. Deswegen behauptet TikTok von sich auch nicht, dass sie ein soziales Netzwerk sind. Das Vorbild heißt auch nicht Facebook, sondern Netflix. Es geht um Unterhaltung. Da wird überlegt: Wie können wir die Nutzer an uns binden? Und daran ist erst mal nichts Schlimmes, sondern es ist einfach eine Reaktion auf unser Verhalten und auf ein kommerzielles Interesse der Plattformen.
Schwieriger wird es, wenn ich KI hinzunehme. Denn wenn soziale Netzwerke ohnehin schon weniger sozial werden, dann macht KI sie noch weniger menschlich. Auch das ist erstmal nur eine Entwicklung. Ich spiele selbst den ganzen Tag mit KI rum. Aber es hat nichts mehr mit dem Grundgedanken von Social Media zu tun. Eine Sache möchte ich dabei noch ansprechen: Der Peak im Bereich Social Media ist schon längst erreicht. Mit Ausnahme von TikTok gehen User- und Verweildauer-Zahlen in Deutschland runter. Hinzu ziehen sich immer mehr Menschen in ihre privaten Kanäle zurück. Wenn wir uns die jungen Generationen anschauen, merken wir beispielsweise, dass zum Beispiel viele junge Frauen ihre Accounts auf privat gestellt haben. Wenn ich mir ansehe, wie stark WhatsApp unseren Tagesablauf mitbestimmt, sind dies ebenfalls private Kanäle. Das Soziale findet damit nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Also versuchen die Plattformen in unsere privaten Kanäle reinzukommen – und das Ergebnis sind dann beispielsweise Channels & Co.
Das scheint gerade ein Problem für Marken ohne unterhaltsamen Content zu sein, oder?
Es ist schwierig. Wenn ich beispielsweise ein Mietwagenanbieter bin, kann ich vielleicht noch Content im technischen Bereich machen und vielleicht fällt mir noch was Kreatives in Richtung Influencer Marketing ein. Aber was mache ich, wenn ich ein Hersteller von Beton bin? Solche Unternehmen müssen erkennen, dass es Kanäle gibt, die sich für sie nicht mehr lohnen werden. Besser gesagt: Für viele lohnen sie sich schon heute nicht mehr.
Dann sollte man sich lieber von Social verabschieden und Ressourcen in anderen Bereichen fokussieren. Ich stelle in Beratungen gerne die Frage nach dem warum. Warum seid ihr auf TikTok? Warum auf Instagram? Oft wird dies dann mit der Marke und den jungen Zielgruppen zu erklären versucht. Aber um ehrlich zu sein, müssen hinter jedem Kanal wirtschaftliche Gründe stehen. Ich sollte also sofort sagen können, auf welches Ziel oder Zielgruppe eine Maßnahme einzahlt. Das lässt sich dann auch überprüfen und hinterfragen. Und wenn dies nicht mehr der Fall ist, muss man sich davon auch verabschieden.
Dominik Ruisinger ist Fachautor und PR-Berater. Im Mai 2024 veröffentlichte der selbstgetaufte “Wissensvermittler” das Buch “Das Ende von Social Media”. In dem Werk erläutert Ruisinger die Herausforderungen, vor denen Unternehmen bei ihren Social-Media-Strategien stehen und liefert Handlungsempfehlungen, wie sie damit umgehen können.
Und was bedeutet die Entwicklung weg vom Sozialen auf Social Media für uns als Medienschaffende? Wie können wir damit umgehen?
Erstmal müssen wir die Social-Media-Euphorie ein bisschen runterschrauben. Wir müssen kapieren, dass soziale Netzwerke vor allem klassische Werbeplattformen sind. Was ich damit sagen will: Du bekommst als Unternehmen, als Agentur, als Institution kaum noch organische Sichtbarkeit. Der ganze Bereich Social ist ein Teil des Kommunikations-Mix, wandert aber immer stärker in den Paid-Bereich. Bis irgendwann die Nutzer sagen: Ich kriege zu viel Werbung ausgespielt und ziehe mich zurück. Es gibt jetzt schon 16- bis 20-Jährige, die sagen: Ich kann die Inhalte auf Instagram nicht mehr ertragen, mein Feed besteht nur noch aus Werbung.
Zweitens müssen wir aktuell wieder mehr Vertrauensanker setzen. Das heißt: Stärkung der eigenen Kanäle, über die wir Kontrolle haben. Beispielsweise sind E-Mail-Newsletter gerade wieder ein Trendinstrument – total verrückt. Ich meine, den Newsletter gibt es seit 30 Jahren, und jetzt ist er wieder Trend. Aber dies ist nur ein Beispiel, wie wichtig künftig die Stärkung eigener Kanäle ist – also beispielsweise der eigene Podcast, das eigene Blog oder das eigene Fachmagazin. Wir brauchen eigene Content-Hubs, über die wir unsere eigene Community aufbauen. Damit lösen wir uns von den großen Plattformen und deren Algorithmen. Möglichst positioniert man sich zu einem Fachthema und baut eine Art Insider-Club auf.
Und dafür ist es wichtig, zu den Basics zurückzukehren und die Zielgruppe zu fragen: Welche Kanäle nutzt ihr überhaupt? Solche Umfragen machen Unternehmen selten, was sehr schade ist. Zusammenfassend: Wie müssen Social Media verstehen, integrativ denken, Eigenkanäle stärken und Mitarbeitende als Markenbotschafter aufbauen. Corporate Influencer werden gerade deswegen wichtiger, weil Unternehmens-Accounts immer weniger Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit bekommen. Diesen Mix muss man heute erarbeiten.
Steckt hinter Corporate Influencern dann wieder der ursprüngliche Gedanke von Social Media – Menschen mit Menschen zu verbinden?
Es gibt diesen alten Satz: Menschen sprechen lieber mit Menschen und nicht mit Marken. Corporate Influencer sind authentischer und damit quasi das Gegenstück zu dem ganzen Thema KI. Denn eine KI ist auf keinen Fall authentisch, persönlich oder privat. Wenn der Aufbau der Corporate Influencer gelingt, kann man sich auch sehr stark von anderen Marken abgrenzen und den eigenen Themen eine größere Sichtbarkeit. Trotz des hohen Zeit-, Kosten- und Ressourcenaufwands sehe ich da ein riesiges Potenzial.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, wie man als Marke menschlicher werden kann?
Ja, das geht sehr stark über die Führungsebene, indem man als CEO extrem präsent ist und konsistent über mehrere Medien auftritt. Als geschäftsführende Person im Kämmerchen zu sitzen, das kannst du dir heute kaum mehr leisten. Der CEO ist ein Vorbild und deswegen wundert es mich nicht, dass in solchen Unternehmen auch Corporate-Influencer-Programme besser laufen. Es stärkt die Mitarbeitenden, wenn sie trotz Widerständen wissen, dass die Geschäftsführung voll hinter ihnen und einem Thema steht.
Stellen wir uns vor, Sie schreiben in ein paar Jahren ein weiteres Buch. Wie würden Sie es dann nennen?
Ich würde sicherlich wieder gerne stärkere Bücher über das Thema integrierte Kommunikation schreiben. Damit beschäftige ich mich schon seit den 90er-Jahren. Damals war das Thema total gehypt. Dann war der Begriff 15, 20 Jahre lang verpönt und ist total untergegangen. Jetzt ploppt er gerade wieder hoch. Wir müssen endlich aufhören, in Kanälen zu denken, sondern viel stärker in Content denken. Um also zu der Frage zurückzukehren: Wahrscheinlich würde das Buch von mir heißen „Content statt Kanäle“.
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